... und wir verabreden eine Radtour für dieses Wochenende. Nun mag
man Männern mangelnde Flexibilität oder klare Konsequenz vorwerfen
oder zu Gute halten: Die Wochenenden sind rar, die Verpflichtungen zahlreich,
so dass ein gemeinsames Wochenende schon mindestens zwei Monate im Voraus
festgelegt werden muss. Da helfen auch keine Wettermeldungen oder
warnende Emails, die der Delete-Taste zum Opfer fallen.
Während die Kollegen beim warmen Frühstückskaffee davon
ausgehen, das die Tour abgesagt und der Chef entspannt zu Hause vor dem
Kamin sitzt, beladen wir unsere Fahrräder in der Nähe von Magdeburg
mit den Packtaschen und fragen die erstaunte Hotelbesitzerin, ob das Auto
hier für ein paar Tage stehen bleiben kann. „Ja sicher, kein
Problem, aber bei diesem Wetter auf dem Rad, ist doch viel zu kalt. Na
Hauptsache, Sie können sich abends immer aufwärmen“. Die
gute Frau hat keine Ahnung von Radtouren, sonst hätte sie sicher
Zelt, Isomatte und Schlafsack entdeckt. Damit geht man
nicht ins Hotel :-)
Wir
steuern die erste Elbfähre an, um auf der linken Elbseite nach Norden
zu fahren, aber schon 8 Kilometer vor der Fähre sprechen uns Straßenbauer
an und verraten uns, dass alle Elbfähren wegen Eisganges
geschlossen sind. „Der Elbradweg ist aber offen“
lachen Sie und wünschen uns eine gute Weiterfahrt. Den Weg nehmen
wir dann auch. Herrlich auf dem Elbdeich entlang, strahlender Sonnenschein
und eine beeindruckende Elbe, auf der große Eisschollen schwimmen.
Allerdings ist die Deichkrone, dort wo sie nicht mit Steinen belegt ist,
nur sehr Kräfte raubend zu befahren, da die harsche Schneedecke den
Reifen einen harten Widerstand entgegensetzt. Also fahren wir bald parallel
zum Deich und genießen die klare Luft bei -10°C.
Begleitend werden wir dabei über einen langen Abschnitt von Rehherden
– so wie es bei der Tour de France oft die Pferde sind.
Am späten Nachmittag bitten wir eine Frau, die gerade ihre Katzen
füttert, um Wasser. Sie kommt mit zwei Gläsern und einer Flasche
Mineralwasser vor die Tür. „Oh, vielen Dank, aber wir freuen
uns über etwas Leitungswasser in unsere Wassersäcke“,
bedanken wir uns brav und bekommen wenig später unsere 5l-Säcke
aufgefüllt zurück.
Nach
zwei bis drei weiteren Kilometern schlagen wir uns links in einen Wald,
um einen Zeltplatz zu finden. Wir finden eine schöne Lichtung und
beginnen sofort mit dem Holzsammeln. Da ist man im Wald
klar im Vorteil: Während an Seen meist nur wenig Holz zu finden ist,
weil dort auch immer Sommer gern ein Lagerfeuer gemacht wird, finden wir
hier ausreichend alte Bäume, die uns einen warmen Abend versprechen. Wir bauen das Zelt auf, entrollen Isomatten und Schlafsäcke
und entfachen ein herrliches Feuer. Und zum ersten Mal nutzen wir unseren
neuen Luxus…. Im laufe von über 20 Jahren, die wir nun immer
mal wieder im Winter für ein paar Tage unterwegs sind, sind die Zeichen
der Zeit und die enorme Weiterentwicklung der Outdoor-Technik nicht an
uns vorüber gegangen. Die Isomatten werden dicker, die Schlafsäcke
wärmer, die Räder besser – und nun eben dieser
neue Luxus: Zwei kleine Stühle. Nicht mehr am Boden kauern,
sich irgendwelche krummen Äste als Sitz hinrollen – dass lässt
sich schon wirklich genießen.
Am nächsten Morgen haben wir -17°C beim Zeltabbau
und müssen uns erst einmal warm radeln. Wir finden einen Supermarkt,
wo wir etwas zu essen bekommen und fahren Richtung Norden weiter. Am Tage
sind es zwischen 8 und 11 Grad Minus, unsere Sturmmasken schützen
uns vor der Kälte. Nur die Essenspausen fallen etwas kurz aus, weil
man doch sehr schnell auskühlt. Außerdem ist die streichzarte
Butter steinhart und auch der Honig lässt sich kaum aus der Tube
quetschen.
Abends, nordöstlich von Neuruppin, „tanken“
wir Wasser und schlagen unser Zelt auf einer Lichtung im Wald auf. Die
Nacht soll kälter werden, was schon deutlich zu spüren ist.
Wir sammeln viel Holz, diesmal schön gerade gewachsen, so dass sich
auch lange Baumstämme bequem ins Feuer schieben lassen.
Am nächsten Morgen ist alles mit Eis überzogen, inklusive Teile
des Schlafsacks. Es ist bitterkalt und wir sind froh, dass wir noch schnell
ein Feuer anzünden, um uns während des Zeltabbaus immer mal
wieder die Hände zu wärmen. -20°C waren es bestimmt
in dieser Nacht. Damit haben wir unsere bisherige Rekordmarke
erreicht: Vor etwa 25 Jahren hatten wir einen ähnlich kalten Winter,
bei dem wir auch unterwegs waren. Damals wollten wir uns in eine Jugendherberge
flüchten, die leider geschlossen hatte. So campierten wir auf dem
offenen Gelände nebenan und fanden in einer alten Tür ausreichend
Brennstoff für die Nacht.
Frühstück gibt es an diesem Morgen auf einem Autohof, nachdem
wir bei -16°C die ersten 30 Kilometer hinter uns
gelassen haben. Im laufe des Tages wird es nur unwesentlich wärmer,
während wir über kleine Strassen in Richtung Rathenow rollen.
Dafür gibt es den traditionellen Wintertour-Plattfuß
bei -12°. Vorn, aber bei diesen Temperaturen auch kein reines
Vergnügen.
In einem kleinen Restaurant füllten wir unsere Wassersäcke auf
und lassen der mürrischen Bedienung 50 ct. für die Toilettenbenutzung
da. Und wieder geht es in ein Waldstück. Dies muss umso schneller
geschehen, da das Wasser in den Beuteln immer schneller gefriert. Nachdem
das Feuer brennt und es um 18 Uhr abends schon -18°C kalt ist, stellen
wir uns auf eine harte Nacht ein. Denn selbst wenn ein Schlafsack schon
behauptet, dass er eine Komforttemperatur von -15° erzeugt
(für Frauen -4°, kein Scherz :-), reicht das für die kommende
Nacht nicht aus. So genießen wir den O-Saft, der sich wie crushes
ice trinken lässt und natürlich eine leckere Hopfenkaltschorle,
die wir immer dicht am Feuer vor dem zufrieren bewahren.
Eigentlich
war die Nacht nicht so schlimm, auch wenn es -23°C geworden
sind. Auf dem Schlafsack hatte sich Eis durch den Atem abgesetzt
und alles war klirrend kalt. Der schwierigste Moment ist immer das öffnen
des Reißverschlusses, um sich anzuziehen. Brrr. Und dann schnell
ein Feuer machen – und natürlich Fotos von dieser Eiseskälte.
Neben ein paar Keksen gibt es erst nach 50 km ein Frühstück
– draußen vor einem Supermarkt stehend. In den kleinen Ortschaften
lohnt es sich nicht einmal für Bäcker mehr. Aber was soll ´s,
wir werden heute unser Auto wieder erreichen. Den ganzen Tag müssen
wir aber vorher noch bei durchgängig -14°C auf unseren
Rädern sitzen, was schon eine gleichbleibende Herausforderung
darstellt. Die Atemluft gefriert so schnell, dass ich einen langen Eiszapfen
am Kinn habe.
Nach insgesamt 355 Kilometern steigen wir von den kalten
Rädern und brauchen eine ganze Weile, bis wir wieder richtig auftauen.