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Schwerin ist die Landeshauptstadt von Mecklenburg- Vorpommern, einem Bundesland, das immer wieder durch rechtsradikale Gewalt in den Medien negative Aufmerksamkeit erregt. Aber die Jugendarbeit bleibt nicht untätig, wie dieses Beispiel aus Schwerin zeigen soll. Allerdings sind die Umstände von aktiver Jugendarbeit im Bundesland sehr unterschiedlich: Denn es kommt auch auf die MitarbeiterInnen an, die sich dieser Aufgabe stellen. Geprägt wird Schwerin von einer z. T. restaurierten Altstadt mit dem Schweriner Schloß im gleichnamigen See und dem größten zusammenhängende Plattenbaugebiet der neuen Länder, dem Großen Dreesch. Allein in diesem Stadtteil können bis zu 61.000 Menschen wohnen. Beide Stadtteile sind durch eine Straßenbahn verbunden, die auch über Nacht und mit insgesamt hoher Frequenz verkehrt. Träger des im folgenden beschriebenen
Jugendclubs „GARAGE“ ist die Evangelische Jugend Schwerin. Schon
vor der Wende im sozialen Bereich engagiert, ist sie nun in verschiedenen
sozialen Handlungsfeldern aktiv: Offene Jugendarbeit in Kirchgemeinden,
Ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz, integrierte
Beratungsstelle, Hilfen zur Erziehung, Internetcafe, Jugendtreffs
mit „rechten“ und „linken“ Jugendlichen. 1. Die ersten Jahre: Jugendbildungsarbeit
und Mitarbeiterfluktuation Um Kommunikationsstörungen
im verbleibenden Team zu bearbeiten, kommt ein weiterer Kollege
als kollegiale Leitung hinzu. Kurze Zeit später verläßt
der männliche Mitarbeiter den Jugendtreff, so daß nur
noch 1,5 Stellen (eine Frau plus 0,5 Leitung) zur Verfügung
stehen. Die daraus resultierende Belastung führt zu Krankheit,
diese zu geringeren Öffnungszeiten im Jugendtreff. Der Frust
unter den Jugendlichen wächst, Wände des Jugendhauses
werden beschmiert, Inventar beschädigt. Die Bautätigkeiten
im Hause machen gleichzeitig deutlich, daß ein schick eingerichtetes
Jugendcafe entstehen wird. Zielgruppe: eher links und bürgerlich
als rechts und aggressiv. 2. Die Situation eskaliert
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Erschienen in: Offene Jugendarbeit, 2007
The Rissho Law Review, Saitama, Japan 2002. Übersetzung von Prof. Yasumitsu Higa. Klicken für größeres Bild.
Sozial.de, April 2002
Unsere Jugend 12 / 2001
Sozialextra 9/ 2000
Kinder- und Jugendhilfe 12/ 2000 |
.3. Wie weiter? Die Bedeutung des Teams im Umgang
mit rechtsorientierten Jugendlichen
Lange Teamsitzungen und der feste Wille, den Jugendclub für diese
Klientel zu erhalten, stehen am Anfang neuer Überlegungen. Im gesamten
Altstadtgebiet
gibt es keinen Club mit dieser Zielgruppenausrichtung. Nach Einschätzung
der MitarbeiterInnen wollen die Jugendlichen den Club - nur verläßlicher,
ehrlicher und mit klaren Eckpunkten.
Um weiterhin präsent zu sein, werden als erstes die Öffnungszeiten
am Nachmittag ausgedehnt. Abends bleibt der Club geschlossen. Dabei kommt
es regelmäßig vor, daß ältere Jugendliche zwischen
16 und 18 Jahren die Einrichtung um 18 Uhr nicht verlassen und "ihre"
Abendöffnungszeit einfordern. Die Jugendlichen nennen das "Überstunden
machen" - nämlich für die im Club beschäftigten MitarbeiterInnen.
Bis zu 15 Jugendliche beteiligen sich an diesen Aktionen. Nur wenige allerdings
aktiv, die Mehrzahl will sehen, ob es nicht doch "irgendwie Randale" gibt.
Um der regelmäßig zu Beginn sehr aggressiven Stimmung zu begegnen,
achten die MitarbeiterInnen konsequent auf Regeln nonverbaler Kommunikation:
Trotz gröbster verbaler Angriffe bleibt die Stimme ruhig. Statt im
Türrahmen zu stehen und mit sitzenden Jugendlichen zu sprechen, setzt
man sich zu ihnen, sitzt nicht höher, sondern auf gleicher Ebene,
läßt sie ausreden - auch auspöbeln - antwortet ruhig,
aber bestimmt. Es ist keine leichte Aufgabe sich dieser Regeln zu bedienen,
wenn einem 10-15 Glatzen in schönster Skinhead-Kostümierung
gegenüberstehen.
Voraussetzung für die Bewältigung dieser Situationen
sind klare Absprachen im Team: wer wie auf was reagiert, wer den Tresen
nach der Tagesarbeit säubert (und sich damit wie zufällig in
greifbarer Nähe des Telefons aufhält). Hilfreich ist auch eine
unauffällige Zeichensprache und Augenkontakt in Gefahrensituationen.
Jeweils vor und nach den Treffzeiten werden Verhaltensweisen Jugendlicher
analysiert und Kompromißmöglichkeiten erörtert. Jede Überlegung
wird im Team abgestimmt, es gibt im Gespräch mit den Jugendlichen
keine spontanen Versprechen (die nachher vielleicht nicht eingehalten
werden können) oder Verbote (die niemand durchsetzen kann). Regelmäßige
Supervision erleichtert dabei den auf dem Team lastenden Druck.
In intensiven Treffen, Verhandlungen und Gesprächen
mit den Jugendlichen wird deutlich, wie sehr sie sich mit dem Jugendtreff
verbunden fühlen. Aber auch, was sich an Frust durch Inkonsequenz
und nicht eingehaltene Absprachen ehemaliger Mitarbeiter angestaut hat.
Die Vergangenheit spielt immer wieder eine zentrale Rolle. Vor dem Blick
nach vorn kommt der Blick zurück. Das Team stellt sich den Fragen
der Vergangenheit, erläutert, berichtigt, räumt Fehler ein und
versucht dabei trotzdem, den „Schwarzen Peter“ nicht ehemaligen Kollegen
zuzuschieben. So entsteht eine offene und ehrliche Kommunikation.
Während die Jugendlichen beginnen, ihren Frust zu verbalisieren (es
kommt seltener zu Sachbeschädigungen), können die MitarbeiterInnen
verdeutlichen, daß der Club am Abend unter den bisherigen Bedingungen
nicht mehr öffnen kann. Z. T. stößt das auf Verständnis
bei den Jugendlichen.
Um auf kollegialer Ebene ungeklärte Fragen zu erörtert,
werden alle ehemaligen Mitarbeiter des Projekts eingeladen. Vorsichtige
Gesprächsführung, Rücksicht auf weiter bestehende Arbeitszusammenhänge
und grundsätzliche, fachliche Differenzen führen zu mancher
Klärung, aber zufrieden verläßt keiner den Raum.
4. Straßensozialarbeit - das Gebot der Stunde
Neben den Gesprächen im Club erweitern die Mitarbeiter das Angebotsspektrum
des Konzepts. Um den Jugendlichen nicht nur als „Hausherr“ in den Räumen
des Jugendclubs zu begegnen und dabei auf Regeln achten zu müssen
(„kein Bierkonsum“), gehen die MitarbeiterInnen in den Sozialraum der
Jugendlichen. Nach kurzer Einarbeitungszeit (Literaturrecherche, Kontakt
zu Straßensozialarbeitern in anderen Stadtteilen) etabliert sich
Straßensozialarbeit als Arbeitsbestandteil. Deinet beschreibt die
Notwendigkeit von Straßensozialarbeit für einen stadtteilorientierten
Ansatz sehr deutlich: „Wer eine cliquenorientierte Jugendarbeit machen
will, kann nicht im Haus „sitzen“ und auf die Jugendlichen warten,
sondern muß sich bewegen“.
Bei Rundgängen begegnen die MitarbeiterInnen häufig bekannten
Gesichtern aus dem Treff, aber auch neue Jugendliche werden angesprochen.
Dabei stellen sich Weintrauben als einfaches Mittel zur Kontaktaufnahme
heraus: Kauend auf den Spielplatz gehen, kritisch blickenden Jugendlichen
eine Traube zuwerfen oder damit jonglieren. Erstaunlich, wie schnell ein
Smalltalk hergestellt ist.
Gleichzeitig beginnen in brachliegenden Räumen hinter
dem Jugendtreff einfache Instandsetzungsmaßnahmen. Ein ca. 30 m²
großer Raum wird von Müll befreit, die Wände und der Fußboden
gestrichen. Es findet sich eine Tischtennisplatte (ironischerweise aus
dem Bestand eines "linken" Jugendprojekts) und ein kleiner Billardtisch.
Ein Kollege stiftete dazu eine Sitzreihe alter Kinostühle und die
Einrichtung ist komplett.
Obwohl die Luft weiterhin muffig ist und die Farbe in einigen Bereichen
schon nach wenigen Tagen von der Wand blättert, entscheidet sich
das Team, die Räume für die Jugendlichen zu öffnen.
Die Wirkung ist so verblüffend wie erhofft: Alle sind froh über
die Beschäftigungsmöglichkeiten und nehmen die Räume sofort
an.
5. Ressoucenerschließung
Antragstellung
Zwei Räume entspannen die Situation ein wenig. Für "richtiges"
Tischtennisspielen ist der Raum zu eng, der Billardtisch ist klein und
hat defekte Banden. Die Sachkostenmittel für das Jugendprojekt lassen
Neuanschaffungen in größerem Stile nicht zu. Unerwartet fällt
in dieser Situation eine Aktion des Stadtjugendringes auf fruchtbaren
Boden: Die Stadt stellt aus Einsparungen durch Personalabbau im sozialen
Bereich von 2 Mio. DM nach langem hin und her 200.000 DM für "Projekte
in Not" zur Verfügung. Die MitarbeiterInnen stellen sofort einen
Antrag auf Bezuschussung des Jugendtreffs.
Social Sponsoring
In einer wirtschaftlich schwachen Region wie Mecklenburg-Vorpommern mit
einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von kurz unter 20 % (April
2001: 18,8 %) sind Sponsoren schwer zu finden. Aus der Baubranche wird
trotzdem ein Kran zur Verfügung gestellt, der als Grundlage zum "Kistenklettern"
dient. Dabei sind die Akteure über Klettergurte und Seile gesichert,
die in der Höhe am Kran befestigt werden. Durch stapeln der Kisten
arbeitet man sich in Höhe. Besonders der Gleichgewichtssinn ist hierbei
gefordert. Der größte Spaß entsteht dann, wenn nach ca.
20 Kisten (immerhin einer Höhe von ca. 8 m) diese mit lautem Gepolter
umfallen und die Menschen am Seil in luftiger Höhe hängen und
sich vor Schreck die Seele aus dem Leib schreien.
"Pro Person 5.- DM für einen guten Zweck" steht auf dem Plakat, das
am Kran lehnt. Der finanzielle Erlös steht dabei fast im Hintergrund.
Wichtiger ist, daß (auch "rechte") Jugendliche aus dem Treff als
Ehrenamtliche mithelfen. So bekommt die Beziehung zwischen Jugendlichen
und BetreuerInnen eine neue Qualität. Man verläßt sich
aufeinander, und den Jugendlichen wird etwas zugetraut: z. B. eine Kasse
zu führen, obwohl sie mehrfach wegen Diebstahl festgenommen wurden.
Diese Aktion ist erfolgreich und wird auf einem Yachtfest wiederholt.
Dabei beteiligen sich weitere Jugendliche. Zusätzlich wiederholt
das Team diese Aktion auf Schulfesten an umliegenden Schulen. Dabei können
jüngere Jugendliche, sogenannte "Lückekids", angesprochen und
in den Treff eingeladen werden.
Aus Veranstaltungen dieser Art resultiert eine Menge
verbaler Unterstützung für den Jugendtreff und ein gewisses
Maß an Medieninteresse. Für notwendige Einrichtungsgegenstände
wie Billardtisch, Kicker oder einen Boxsack reicht das eingenommene Geld
aber nicht.
Zeitgleich wird der Antrag des Jugendclubs auf die Fördermittel „Projekte
in Not“ als typisches Beispiel dafür gehandelt, was offene Jugendtreffs
brauchen. Das wertet das Team als gutes Zeichen und beginnt, einen dritten
Raum für die Nutzung nach Freigabe der Mittel vorzubereiten. Der
Zusammenhang zwischen gewaltbereiten Jugendlichen und einem Boxsack in
einer Jugendeinrichtung ist auch für von Sparzwängen gequälte
Stadtvertreter aller Parteien nicht von der Hand zu weisen.
6. Der Frühstücksstammtisch für arbeitslose Jugendliche und die Möbelbörse
Schon einige Zeit stellen das Team des Jugendtreffs und
MitarbeiterInnen des Projekts "Ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz"
fest, daß Jugendliche auch vormittags eine Treffmöglichkeit
brauchen. Bei hoher Jugendarbeitslosigkeit ist Bedarf für Unterstützung
beim Bewerbungenschreiben, Hinweise auf Jobangebote, Beratung und einen
warmen Kaffee zum Frühstück ausreichend vorhanden. So wird nach
wenigen Wochen Vorlaufzeit der Frühstücksstammtisch für
arbeitslose Jugendliche eröffnet. Auch Jugendliche, die Monate vorher
das Inventar des Treffs zerlegt hatten, kommen und lassen sich Wurst-
und Nutellabrötchen schmecken. Hierbei machen die Teams keine Unterschiede
zwischen den rechten Glatzen und anderen Jugendlichen. Die Probleme der
Jugendlichen sind ohnehin die Gleichen. Ganz im Gegenteil läßt
sich feststellen, daß eine "besondere" Aufmerksamkeit kontraproduktiv
sein kann und vorhandene Verhaltensmuster intensiviert, bzw. latente Rechtsorientierung
verfestigt. Wir halten es mit Krafeld, wenn wir an den Problemen der Jugendlichen
ansetzen, die sie haben, nicht an denen, die sie machen .
Nebenher eröffnen beide Projekte zusammen eine Möbelbörse.
Hier werden gebrauchte Möbel gesammelt, gelagert und mit Jugendlichen
aufgearbeitet, die gerichtlich verfügte Arbeitsstunden abzuleisten
haben. Anschließend werden sie kostenlos an Jugendliche abgegeben,
die ihre erste Wohnung einrichten oder aus anderem Grunde Bedarf an Möbelstücken
haben.
7. Die alltägliche Arbeit im Treff und die ersten
Kompromisse
Die Jugendlichen merken durch die vielen Veränderungen, die im Laufe
eines halben Jahres zu beobachten sind, daß sich das Team kümmert.
Auf diesem Hintergrund ergeben sich fruchtbare Diskussionen, in denen
Kompromißbereitschaft auf beiden Seiten möglich wird. Der Jugendclub
ist nach wie vor abends geschlossen, nachmittags kommt es seltener zu
Zerstörungen: Hin und wieder zerschellt ein Aschenbecher an der Wand,
die Polster der neuen, aus der Möbelbörse stammenden Sitzecke
werden aufgeschlitzt, Grünpflanzen werden mit ihrer Natürlichkeit
und Vitalität kaum ertragen und „geerntet“.
Nach scheinbar endlosen, wochenlangen Diskussionen werden
zwei durchgreifende Kompromisse erzielt. Erstens müssen Alkohol und
Waffen bei den Betreuern abgegeben werden. Bier wird im Club nicht mehr
ausgeschenkt, statt dessen wird das Sortiment um Alsterwasser (Radler)
und alkoholfreies Bier ergänzt.
Der zweite Kompromiß betrifft die Musik. Rechte Jugendliche hören
rechte Musik. Oftmals dröhnen auf diese Weise rechtsradikale Propagandasprüche
durch den Jugendclub, bevor Betreuer die Kassette ausschalten können.
Ursprünglich hing die Frage, welche Musik gespielt werden durfte,
von der Tageslaune des Jugendsozialarbeiters ab. Der aktuelle Kompromiß
hat die sogenannte Indexliste zur Grundlage. Das Team wird nur Musik abspielen,
die nicht durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften indiziert worden ist. Kassetten werden deshalb nicht eingelegt,
da sich deren Inhalt schwerlich überprüfen läßt.
Die Jugendlichen bekommen eine Kopie der Liste mit nach Hause, damit sie
evtl. verbotene CDs gar nicht erst mitbringen brauchen.
Durch dies Vereinbarung ist das Steuerungs- und Auswahlinstrument für
das Abspielen von Musik transparent und für jeden verständlich.
Übrigens verlangt auch die nicht indizierte Musik einiges an Durchhaltevermögen
von den MitarbeiterInnen ab...
Neun Monate später kommt es zu einer skurrilen Situation, als sich
ein anderer Jugendclub auf dem Großen Dreesch (Plattenbausiedlung)
weigert, rechte Musik zu spielen. Jugendliche bieten von sich aus die
Indexliste an, um überhaupt "ihre" Musik hören zu können.
8. Es wird wieder abends geöffnet
Nach diesen Kompromissen wird der Club an einem Abend der Woche wieder
geöffnet. Um dem einfachen "Abhängen" Jugendlicher zu begegnen,
gibt es jeden Abend ein thematisches Angebot. Neben Filmen über Skinheads,
rechte Szene und gewaltbereite Jugendliche mit dem Versuch einer anschließenden
Diskussion, erlangen Billardturniere große Beliebtheit. Dadurch
werden aufgestaute Aggressionen in neue Kanäle gelenkt. Jugendliche
entwickeln das Ziel, als Sieger auf dem Pokal eingraviert zu werden, der
für alle sichtbar auf dem Tresen steht. Allerdings geht aus Frust
über ein verlorenes Spiel schon mal ein Que zu Bruch.
9. Lückekids erobern den Club
Auf dem angrenzenden Hof des Jugendclubs installieren die ClubmitarbeiterInnen
eine Streetballanlage, damit sich Jugendliche bei gutem Wetter auch draußen
austoben können. Diese Möglichkeit und die "Kistenkletter"-Aktion
ermuntern junge Jugendliche zwischen 11 und 13 Jahren, den Jugendclub
aufzusuchen. Das Team ermuntert die neue Besuchergruppe wiederzukommen,
leitet sie bei Spielen an, organisiert Turniere und schon bald kommen
die Kids regelmäßig. Nach wenigen Wochen freuen sich die älteren
Jugendlichen über einfach zu besiegende Gegner beim Billard und präsentieren
ihre Überlegenheit, wenn sie die Skatregeln erläutern.
So wird der Club schon bald von mehr Lückekids, als von rechten Jugendlichen
frequentiert. Ständige Evaluation und statistische Auswertungen belegen
das recht eindrucksvoll. Umso wichtiger wird es für die Älteren,
"ihre" Abendöffnungszeit zu haben, wo sie nicht "das Geschrei" der
Jüngeren ertragen müssen.
10. Die Anträge haben Erfolg
In diese Situation fällt die Zusage, daß der Jugendclub einige
Tausend Mark aus dem Topf "Projekte in Not" erhält. Zwar nicht in
der erhofften Höhe, aber durch langes telefonieren und verhandeln
können ein gebrauchter Kneipen-Billardtisch, ein Kicker, ein Boxsack
und ein Dartspiel gekauft werden. Der dritte, bereits vorbereitete Raum
wird eröffnet, Pokale für Dartturniere angeschafft. Das Miteinander
funktioniert.
11. Kündigung der Mitarbeiterin
Im Herbst arbeiten zwei MitarbeiterInnen im Projekt, nachdem die 0,5 Leitungsstelle
den Träger verläßt. Davon wird eine Stelle von der Stadt
finanziert, die andere über LKZ (Lohnkostenzuschuß) und Eigenmittel
(Kirchenkreis). Mit der Stadt werden Leistungsverträge erarbeitet,
die auch die zweite Stelle sicher machen sollen. Durch knappe Kassen und
einen nicht beschlossenen städtischen Haushalt kommt es nicht zum
Abschluß. Die Folge: Der Träger muß der Mitarbeiterin
kündigen. Und das nach diesen Arbeitsergebnissen und Erfolgen.
Das Entsetzen bei Jugendlichen beider Altersgruppen ist groß, denn
die Schließung des Clubs steht erneut bevor. Wieder sehen sie sich
als Spielball unbeeinflußbarer Größen und Ereignisse,
sind frustriert.
Die Jüngeren verteilen Protestblätter im Stadtteil. Mit den
Älteren wird vereinbart, daß der Club nur dann abends vom verbleibenden
Mitarbeiter geöffnet wird, wenn es zu keinen Zwischenfällen
kommt. Die Jugendlichen halten sich daran.
Nach vier Wochen und vielen Protest- und Diskussionsveranstaltungen auf
verschiedenen Ebenen, kann die Mitarbeiterin wieder eingestellt werden.
Unter solchen Rahmenbedingungen qualitativ hochwertige Arbeit zu machen,
ist wahrlich nicht einfach. Später konnten mit der Stadt Leistungsverträge
abgeschlossen werden, die das Projekt auf solide finanzielle Beine gestellt
haben.
12. Zusammenfassung und Ausblick
Nach einem 3/4 Jahr Zusammenarbeit des neuen Teams ist ein umgekrempelter
Jugendclub entstanden. Neue Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, mehr
Räume und klar abgesteckte, gemeinsam abgesprochene Regeln haben
dem Club neues Leben gegeben. Selbst eine Gruppe junger Gymnasiastinnen
wählt den Club für mehrere Wochen zu ihrem Treffpunkt.
Die älteren Jugendlichen machen sich rar, nur ein Kern von 10-15
Skinheads besucht den Club regelmäßig. Ausflugsangebote, aus
ihren Reihen vorgeschlagen, werden nicht angenommen. Selbst an einer von
ihnen vorgeschlagenen Fahrt in das KZ Sachsenhausen nimmt im ersten Anlauf
niemand teil. Für diese Gruppe ist der Treff ein wichtiger Ort zum
Abhängen und Ausspannen. Meist kommen sie nach der Schule oder Ausbildung,
nutzen je nach Tageslaune die Möglichkeiten von Dart oder Billardspiel.
Die monatelangen Diskussionen über das Hören von rechter Musik
und Trinken von Alkohol flauen ab, selbst die eingeführte regelmäßige
„Meckerrunde“ für Jugendliche wird kaum noch in Anspruch genommen.
Es kommt vor, daß Jugendliche in den angrenzenden Grünanlagen
trinken, bevor sie in den Jugendtreff kommen. Fast schon spielerisch wird
versucht, Alkohol in den Club zu „schmuggeln“. Eine übliche Verhaltensweise,
um die Grenzen auszutesten.
Bei der jüngeren Gruppe entwickelt es sich anders.
Besonders über das Projekt „Erlebnispädagogik in der Stadt –
Freeclimbing an einer Kletterwand“ wächst eine von den SozialpädagogInnen
begleitete Clique heran. Kletterfreizeiten in das Elbsandsteingebirge
tragen dabei erheblich zur Gruppenbildung bei. Ein wichtiger Unterschied:
Diese Gruppe wird in jungem Alter begleitet, Vertrauen wird aufgebaut,
Angebote nach Bedarf gemacht. Gleichzeitig wird auf einem thematischen
Elternabend zur Freizeitvorbereitung der erste Kontakt zu den Eltern hergestellt.
Während die Jüngeren Tresendienste übernehmen und dabei
Getränke und Essen zum Selbstkostenpreis ausgeben, weisen die Älteren
diese ehrenamtliche Arbeit weit von sich.
Kontinuierliche, konzentrierte Arbeit auch und gerade mit jüngeren Jugendlichen ist auch eine gute Prävention. Hier lernen sie neue Interessenfelder kennen, üben das soziale Miteinander, werden ernst genommen und im Selbstvertrauen gestärkt.
Die Bedeutung eines kreativen und in sich ruhenden kritisch-kooperativen Teams kann insgesamt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Extreme Konfliktsituationen können nur mit einem gut eingespielten Team bewältigt werden. Das trägt hauptsächlich dazu bei, daß sowohl Geldgeber wie Jugendamt und Kirche, als auch die MitarbeiterInnen mit der Arbeit zufrieden sind.
Vom alkoholfreien Bier ist übrigens bis zum Ablauf
des Haltbarkeitsdatums keine einzige Flasche verkauft worden...
13. Zwei Jahre später - Erfolg sozialer Arbeit?
Fast alle der ehemals rechten Jugendlichen haben eine Lehre begonnen,
einige haben sie wieder abgebrochen, zwei saßen zwischenzeitlich
in Untersuchungshaft und Gefängnis, zwei weitere laufen noch immer
in rechtem Outfit herum. Eine rechte Szene wie vor zwei Jahren gibt es
in der Stadt nicht mehr. Hatte die fachlich fundierte Jugendarbeit hier
Erfolg, wie sie auch in zwei weiteren Jugendclubs der Stadt ähnlich
betrieben wurde? Man kann hier durchaus von einem Erfolg sprechen, auch
wenn Sozialarbeiter dieses Wort nur mit größter Vorsicht verwenden.
Sicherlich haben verschiedene, weitere Sozialisationsfaktoren ihren Teil
dazu beigetragen, aber Sozialarbeit muß auch mal den Mut haben,
eine solche Entwicklung als ihren Erfolg zu bezeichnen.
Solche
Erfolge sind nur durch eine professionelle, fachlich fundierte und langfristig
abgesicherte Arbeit zu gewährleisten. Aber ist das gewollt? Sicher,
Politiker aller Parteien reden ständig davon. Nur wenn es zur Finanzierung
kommt, scheiden sich die Geister. ABM-Kräfte, die in Ostdeutschen
Jugendclubs (besonders im ländlichen Bereich) häufig die
einzigen Angestellten sind, haben - ohne alle über einen Kamm scheren
zu wollen - meist keine ausreichende fachliche Qualifikation. Eine langfristig
abgesicherte Arbeitsstelle haben sie in keinem Fall.
Wie steht es um die pädagogischen Fach- und Hochschulen, die zukünftiges
Fachpersonal ausbilden? Ist der Umgang mit rechten Jugendlichen mittlerweile
dort Thema? Motivieren traditionell linke Professoren ihre Studenten dazu,
sich auf die Arbeit mit rechten Jugendlichen einzulassen?
Das Thema "Rechtsorientierte Jugendliche" wird uns in unterschiedlichsten
Fragestellungen in den nächsten Jahren weiter beschäftigen.
Im Jugendclub "GARAGE" hat sich die Zielgruppe mittlerweile deutlich verändert.
Hunger, Armut und soziale Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen
ist hier zum Hauptproblem geworden. Übrigens eine Thematik, über
die nicht in den 20 Uhr Nachrichten berichtet wird..........
14. Rechte Jugendliche in Ost und West - grundsätzlich
unterschiedlich?
Ost- und Westdeutschland haben in diesem Bereich sehr ähnliche Probleme.
Die Ursachen für rechte Gewalt und Ausprägungen rechter Jugendkulturen
sind dabei die gleichen, bei regional unterschiedlichen Gewichtungen.
Oder nicht? In einem sehr einfühlsamen und detaillierten Bericht
über den Umgang mit rechten Jugendlichen in der offenen Jugendarbeit
beschreibt Benedikt Sturzenhecker Verhaltensmöglichkeiten in dieser
Arbeit - und schreibt gleich im ersten Absatz, das "die Situation in den
ostdeutschen Bundesländern" sich völlig anders darstellt und
"auch andere Arbeitsweisen" verlangt. Das wird hier leider nicht weiter
begründet, dafür folgt auf den nächsten Seiten die Beschreibung
von Problemen entsprechender Jugendlicher und sich daraus ableitender
Verhaltensweisen für die professionellen Mitarbeiter. Ohne darauf
an dieser Stelle näher eingehen zu wollen (der Artikel von Sturzenhecker
findet sich in überarbeiteter Form in diesem Heft), vermute ich,
daß auf die Abgrenzung aus Unkenntnis Wert gelegt wurde. Sämtliche
Ursachen, die Sturzenhecker in seinem Bericht beschreibt, finden sich
auch bei Ostdeutschen Jugendlichen. Mit einem Unterschied: Es gibt keine
Jugendszenen im Osten, die aus türkischen Jugendlichen bestehen.
Hier findet der "Kampf der Jugendszenen" in Ermangelung ausländischer
Jugendlicher mit deutschen Punks statt.
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