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Sozialarbeit mit rechtsorientierten Jugendlichen

- und die große Bedeutung des Teams - 

Die junge Geschichte eines offenen Jugendtreffs in Schwerin

von Michael Schmitz

Schwerin ist die Landeshauptstadt von Mecklenburg- Vorpommern, einem Bundesland, das immer wieder durch rechtsradikale Gewalt in den Medien negative Aufmerksamkeit erregt. Aber die Jugendarbeit bleibt nicht untätig, wie dieses Beispiel aus Schwerin zeigen soll. Allerdings sind die Umstände von aktiver Jugendarbeit im Bundesland sehr unterschiedlich: Denn es kommt auch auf die MitarbeiterInnen an, die sich dieser Aufgabe stellen.

Geprägt wird Schwerin von einer z. T. restaurierten Altstadt mit dem Schweriner Schloß im gleichnamigen See und dem größten zusammenhängende Plattenbaugebiet der neuen Länder, dem Großen Dreesch. Allein in diesem Stadtteil können bis zu 61.000 Menschen wohnen. Beide Stadtteile sind durch eine Straßenbahn verbunden, die auch über Nacht und mit insgesamt hoher Frequenz verkehrt.

Träger des im folgenden beschriebenen Jugendclubs „GARAGE“ ist die Evangelische Jugend Schwerin. Schon vor der Wende im sozialen Bereich engagiert, ist sie nun in verschiedenen sozialen Handlungsfeldern aktiv: Offene Jugendarbeit in Kirchgemeinden, Ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz, integrierte Beratungsstelle, Hilfen zur Erziehung, Internetcafe, Jugendtreffs mit „rechten“ und „linken“ Jugendlichen. 
Der Jugendtreff „GARAGE“ wurde im Februar 1994 eröffnet. Die Räumlichkeiten befinden sich in den ehemaligen Garagen des Jugendhauses der Stadt. Die Räume sind feucht, wurden mehrfach umgebaut und sind relativ dunkel. Die Grundfläche beträgt ca. 80 m².

1. Die ersten Jahre: Jugendbildungsarbeit und Mitarbeiterfluktuation
Angelegt als offenes Jugendangebot mit hohem Jugendbildungsanteil wird das Programm in den Anfängen entsprechend gestaltet: thematische Veranstaltungen, Filme, Gruppenfahrten und Diskoveranstaltungen. Schon bald kristallisiert sich heraus, daß der Bedarf mehr in der klassischen offenen Arbeit besteht, thematische Angebote werden kaum mehr wahrgenommen. Das führt zum Weggang eines Kollegen.
Auf ABM-Basis werden eine neue Kollegin und ein Kollege angestellt. Wobei von vorn herein vereinbart ist, daß der Mann nach kurzer Zeit in einen anderen Bereich wechseln wird. Dies beschleunigt sich, nachdem er sich durch Unerfahrenheit zur Teilnahme an einer von den Jugendlichen initiierten Mutprobe verleiten läßt, die für ihn im Krankenhaus endet. Ein Vorfall, der Glaubwürdigkeit und Autorität auch neuer Mitarbeiter auf Jahre beeinträchtigt. 
Gleichzeitig beginnen Baumaßnahmen, die zur vorübergehenden Schließung des Clubs führen. Z. T. können Jugendliche an den baulichen Maßnahmen beteiligt werden, allerdings werden ihre Erwartungen dabei häufig nicht erfüllt: Anstatt renovierte Räume - wie versprochen - für Veranstaltungen nutzen zu können, verhindern langwierige Trockenlegungen und Krankheit der MitarbeiterInnen die Nutzung. Frust bei Jugendlichen ist die Folge. Daneben werden für sie Elemente rechter Jugendkulturen interessant. Zuerst versteckt, später offen und demonstrativ, bekennen sich Jugendliche des Treffs zu rechtem Gedankengut, grölen Parolen, schmieren Hakenkreuze an die Wände. 

Um Kommunikationsstörungen im verbleibenden Team zu bearbeiten, kommt ein weiterer Kollege als kollegiale Leitung hinzu. Kurze Zeit später verläßt der männliche Mitarbeiter den Jugendtreff, so daß nur noch 1,5 Stellen (eine Frau plus 0,5 Leitung) zur Verfügung stehen. Die daraus resultierende Belastung führt zu Krankheit, diese zu geringeren Öffnungszeiten im Jugendtreff. Der Frust unter den Jugendlichen wächst, Wände des Jugendhauses werden beschmiert, Inventar beschädigt. Die Bautätigkeiten im Hause machen gleichzeitig deutlich, daß ein schick eingerichtetes Jugendcafe entstehen wird. Zielgruppe: eher links und bürgerlich als rechts und aggressiv.
Die Treffbesucher können sich durch Fluktuation der Mitarbeiter, interne Unstimmigkeiten, unregelmäßige Öffnungszeiten und Nichteinhaltung von Absprachen auf nichts mehr verlassen. Die räumliche Situation – damals 30 m² mit 12 Stühlen, 4 Tischen und einem Tresenbereich - hat zudem keine Abwechslung zu bieten. Kartenspielen, Trinken (Bierausschank im Jugendtreff) und Randalieren sind Inhalte des Clublebens. 
In dieser Situation, der Club besteht seit drei Jahren, wird ein neuer Mitarbeiter eingestellt. Glücklicherweise paßt das neue Team gut zusammen: Die Chemie stimmt – eine wichtige Grundlage für erfolgreiche Jugendarbeit .

 

2. Die Situation eskaliert
Für das Inventar des Treffs kommt dieser "neue Teamgeist" zu spät: Der Frust vergangener Monate und Jahre entlädt sich plötzlich und letztendlich doch unerwartet. Bereits angetrunkene Jugendliche bringen unter Einsatz von Gewalt kistenweise Bier in den Treff, zerstören große Teile des Mobiliars inklusive eines wenige Stunden vorher aufgestellten Billardtisches, greifen Mitarbeiter körperlich an. Trotz vieler Vermittlungsversuche in den nächsten Tagen wiederholen sich diese Exzesse über Wochen, die Hemmschwelle der Gewaltanwendung ist gefallen. Der Jugendclub muß in den Abendstunden schließen.

 

Erschienen in:

Offene Jugendarbeit, 2007

 

Erschienen in: The Rissho Law Review, Saitama, Japan 2002. Übersetzung von Prof. Yasumitsu Higa. Klicken für großes Bild.

The Rissho Law Review, Saitama, Japan 2002. Übersetzung von Prof. Yasumitsu Higa. Klicken für größeres Bild.

 

Erschienen in:  Sozial.de, April 2002

 

 

 

Sozial.de, April 2002

 

Unsere Jugend 12 / 2001

 

 

 

 

 

Unsere Jugend 12 / 2001

 

Sozialextra 9/ 2000

 

 

 

Sozialextra 9/ 2000

 

Kinder- und Jugendhilfe 12/ 2000

 

 

 

 

 

Kinder- und Jugendhilfe 12/ 2000

.3. Wie weiter? Die Bedeutung des Teams im Umgang mit rechtsorientierten Jugendlichen
Lange Teamsitzungen und der feste Wille, den Jugendclub für diese Klientel zu erhalten, stehen am Anfang neuer Überlegungen. Im gesamten AltstadHof des Jugendtreffstgebiet gibt es keinen Club mit dieser Zielgruppenausrichtung. Nach Einschätzung der MitarbeiterInnen wollen die Jugendlichen den Club - nur verläßlicher, ehrlicher und mit klaren Eckpunkten. 
Um weiterhin präsent zu sein, werden als erstes die Öffnungszeiten am Nachmittag ausgedehnt. Abends bleibt der Club geschlossen. Dabei kommt es regelmäßig vor, daß ältere Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren die Einrichtung um 18 Uhr nicht verlassen und "ihre" Abendöffnungszeit einfordern. Die Jugendlichen nennen das "Überstunden machen" - nämlich für die im Club beschäftigten MitarbeiterInnen. Bis zu 15 Jugendliche beteiligen sich an diesen Aktionen. Nur wenige allerdings aktiv, die Mehrzahl will sehen, ob es nicht doch "irgendwie Randale" gibt. 
Um der regelmäßig zu Beginn sehr aggressiven Stimmung zu begegnen, achten die MitarbeiterInnen konsequent auf Regeln nonverbaler Kommunikation: Trotz gröbster verbaler Angriffe bleibt die Stimme ruhig. Statt im Türrahmen zu stehen und mit sitzenden Jugendlichen zu sprechen, setzt man sich zu ihnen, sitzt nicht höher, sondern auf gleicher Ebene, läßt sie ausreden - auch auspöbeln - antwortet ruhig, aber bestimmt. Es ist keine leichte Aufgabe sich dieser Regeln zu bedienen, wenn einem 10-15 Glatzen in schönster Skinhead-Kostümierung gegenüberstehen. 

Voraussetzung für die Bewältigung dieser Situationen sind klare Absprachen im Team: wer wie auf was reagiert, wer den Tresen nach der Tagesarbeit säubert (und sich damit wie zufällig in greifbarer Nähe des Telefons aufhält). Hilfreich ist auch eine unauffällige Zeichensprache und Augenkontakt in Gefahrensituationen.
Jeweils vor und nach den Treffzeiten werden Verhaltensweisen Jugendlicher analysiert und Kompromißmöglichkeiten erörtert. Jede Überlegung wird im Team abgestimmt, es gibt im Gespräch mit den Jugendlichen keine spontanen Versprechen (die nachher vielleicht nicht eingehalten werden können) oder Verbote (die niemand durchsetzen kann). Regelmäßige Supervision erleichtert dabei den auf dem Team lastenden Druck.Der Billardraum

In intensiven Treffen, Verhandlungen und Gesprächen mit den Jugendlichen wird deutlich, wie sehr sie sich mit dem Jugendtreff verbunden fühlen. Aber auch, was sich an Frust durch Inkonsequenz und nicht eingehaltene Absprachen ehemaliger Mitarbeiter angestaut hat. Die Vergangenheit spielt immer wieder eine zentrale Rolle. Vor dem Blick nach vorn kommt der Blick zurück. Das Team stellt sich den Fragen der Vergangenheit, erläutert, berichtigt, räumt Fehler ein und versucht dabei trotzdem, den „Schwarzen Peter“ nicht ehemaligen Kollegen zuzuschieben. So entsteht eine offene und ehrliche Kommunikation.
Während die Jugendlichen beginnen, ihren Frust zu verbalisieren (es kommt seltener zu Sachbeschädigungen), können die MitarbeiterInnen verdeutlichen, daß der Club am Abend unter den bisherigen Bedingungen nicht mehr öffnen kann. Z. T. stößt das auf Verständnis bei den Jugendlichen.

Um auf kollegialer Ebene ungeklärte Fragen zu erörtert, werden alle ehemaligen Mitarbeiter des Projekts eingeladen. Vorsichtige Gesprächsführung, Rücksicht auf weiter bestehende Arbeitszusammenhänge und grundsätzliche, fachliche Differenzen führen zu mancher Klärung, aber zufrieden verläßt keiner den Raum. 
 

4. Straßensozialarbeit - das Gebot der Stunde
Neben den Gesprächen im Club erweitern die Mitarbeiter das Angebotsspektrum des Konzepts. Um den Jugendlichen nicht nur als „Hausherr“ in den Räumen des Jugendclubs zu begegnen und dabei auf Regeln achten zu müssen („kein Bierkonsum“), gehen die MitarbeiterInnen in den Sozialraum der Jugendlichen. Nach kurzer Einarbeitungszeit (Literaturrecherche, Kontakt zu Straßensozialarbeitern in anderen Stadtteilen) etabliert sich Straßensozialarbeit als Arbeitsbestandteil. Deinet beschreibt die Notwendigkeit von Straßensozialarbeit für einen  stadtteilorientierten Ansatz sehr deutlich: „Wer eine cliquenorientierte Jugendarbeit machen will, kann nicht im Haus „sitzen“  und auf die Jugendlichen warten, sondern muß sich bewegen“.
Bei Rundgängen begegnen die MitarbeiterInnen häufig bekannten Gesichtern aus dem Treff, aber auch neue Jugendliche werden angesprochen. Dabei stellen sich Weintrauben als einfaches Mittel zur Kontaktaufnahme heraus: Kauend auf den Spielplatz gehen, kritisch blickenden Jugendlichen eine Traube zuwerfen oder damit jonglieren. Erstaunlich, wie schnell ein Smalltalk hergestellt ist.

Gleichzeitig beginnen in brachliegenden Räumen hinter dem Jugendtreff einfache Instandsetzungsmaßnahmen. Ein ca. 30 m² großer Raum wird von Müll befreit, die Wände und der Fußboden gestrichen. Es findet sich eine Tischtennisplatte (ironischerweise aus dem Bestand eines "linken" Jugendprojekts) und ein kleiner Billardtisch. Ein Kollege stiftete dazu eine Sitzreihe alter Kinostühle und die Einrichtung ist komplett.
Obwohl die Luft weiterhin muffig ist und die Farbe in einigen Bereichen schon nach wenigen Tagen von der Wand blättert, entscheidet sich das Team, die Räume für die Jugendlichen zu öffnen.
Die Wirkung ist so verblüffend wie erhofft: Alle sind froh über die Beschäftigungsmöglichkeiten und nehmen die Räume sofort an.

5. Ressoucenerschließung
Antragstellung
Zwei Räume entspannen die Situation ein wenig. Für "richtiges" Tischtennisspielen ist der Raum zu eng, der Billardtisch ist klein und hat defekte Banden. Die Sachkostenmittel für das Jugendprojekt lassen Neuanschaffungen in größerem Stile nicht zu. Unerwartet fällt in dieser Situation eine Aktion des Stadtjugendringes auf fruchtbaren Boden: Die Stadt stellt aus Einsparungen durch Personalabbau im sozialen Bereich von 2 Mio. DM nach langem hin und her 200.000 DM für "Projekte in Not" zur Verfügung. Die MitarbeiterInnen stellen sofort einen Antrag auf Bezuschussung des Jugendtreffs.

Social Sponsoring
In einer wirtschaftlich schwachen Region wie Mecklenburg-Vorpommern mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von kurz unter 20 % (April 2001: 18,8 %) sind Sponsoren schwer zu finden. Aus der Baubranche wird trotzdem ein Kran zur Verfügung gestellt, der als Grundlage zum "Kistenklettern" dient. Dabei sind die Akteure über Klettergurte und Seile gesichert, die in der Höhe am Kran befestigt werden. Durch stapeln der Kisten arbeitet man sich in Höhe. Besonders der Gleichgewichtssinn ist hierbei gefordert. Der größte Spaß entsteht dann, wenn nach ca. 20 Kisten (immerhin einer Höhe von ca. 8 m) diese mit lautem Gepolter umfallen und die Menschen am Seil in luftiger Höhe hängen und sich vor Schreck die Seele aus dem Leib schreien.
"Pro Person 5.- DM für einen guten Zweck" steht auf dem Plakat, das am Kran lehnt. Der finanzielle Erlös steht dabei fast im Hintergrund. Wichtiger ist, daß (auch "rechte") Jugendliche aus dem Treff als Ehrenamtliche mithelfen. So bekommt die Beziehung zwischen Jugendlichen und BetreuerInnen eine neue Qualität. Man verläßt sich aufeinander, und den Jugendlichen wird etwas zugetraut: z. B. eine Kasse zu führen, obwohl sie mehrfach wegen Diebstahl festgenommen wurden. 
Diese Aktion ist erfolgreich und wird auf einem Yachtfest wiederholt. Dabei beteiligen sich weitere Jugendliche. Zusätzlich wiederholt das Team diese Aktion auf Schulfesten an umliegenden Schulen. Dabei können jüngere Jugendliche, sogenannte "Lückekids", angesprochen und in den Treff eingeladen werden. Nach einem Gelage

Aus Veranstaltungen dieser Art resultiert eine Menge verbaler Unterstützung für den Jugendtreff und ein gewisses Maß an Medieninteresse. Für notwendige Einrichtungsgegenstände wie Billardtisch, Kicker oder einen Boxsack reicht das eingenommene Geld aber nicht.
Zeitgleich wird der Antrag des Jugendclubs auf die Fördermittel „Projekte in Not“ als typisches Beispiel dafür gehandelt, was offene Jugendtreffs brauchen. Das wertet das Team als gutes Zeichen und beginnt, einen dritten Raum für die Nutzung nach Freigabe der Mittel vorzubereiten. Der Zusammenhang zwischen gewaltbereiten Jugendlichen und einem Boxsack in einer Jugendeinrichtung ist auch für von Sparzwängen gequälte Stadtvertreter aller Parteien nicht von der Hand zu weisen.

6. Der Frühstücksstammtisch für arbeitslose Jugendliche und die Möbelbörse

Schon einige Zeit stellen das Team des Jugendtreffs und MitarbeiterInnen des Projekts "Ambulante Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz" fest, daß Jugendliche auch vormittags eine Treffmöglichkeit brauchen. Bei hoher Jugendarbeitslosigkeit ist Bedarf für Unterstützung beim Bewerbungenschreiben, Hinweise auf Jobangebote, Beratung und einen warmen Kaffee zum Frühstück ausreichend vorhanden. So wird nach wenigen Wochen Vorlaufzeit der Frühstücksstammtisch für arbeitslose Jugendliche eröffnet. Auch Jugendliche, die Monate vorher das Inventar des Treffs zerlegt hatten, kommen und lassen sich Wurst- und Nutellabrötchen schmecken. Hierbei machen die Teams keine Unterschiede zwischen den rechten Glatzen und anderen Jugendlichen. Die Probleme der Jugendlichen sind ohnehin die Gleichen. Ganz im Gegenteil läßt sich feststellen, daß eine "besondere" Aufmerksamkeit kontraproduktiv sein kann und vorhandene Verhaltensmuster intensiviert, bzw. latente Rechtsorientierung verfestigt. Wir halten es mit Krafeld, wenn wir an den Problemen der Jugendlichen ansetzen, die sie haben, nicht an denen, die sie machen .  
Nebenher eröffnen beide Projekte zusammen eine Möbelbörse. Hier werden gebrauchte Möbel gesammelt, gelagert und mit Jugendlichen aufgearbeitet, die gerichtlich verfügte Arbeitsstunden abzuleisten haben. Anschließend werden sie kostenlos an Jugendliche abgegeben, die ihre erste Wohnung einrichten oder aus anderem Grunde Bedarf an Möbelstücken haben.
 

7. Die alltägliche Arbeit im Treff und die ersten Kompromisse
Die Jugendlichen merken durch die vielen Veränderungen, die im Laufe eines halben Jahres zu beobachten sind, daß sich das Team kümmert. Auf diesem Hintergrund ergeben sich fruchtbare Diskussionen, in denen Kompromißbereitschaft auf beiden Seiten möglich wird. Der Jugendclub ist nach wie vor abends geschlossen, nachmittags kommt es seltener zu Zerstörungen: Hin und wieder zerschellt ein Aschenbecher an der Wand, die Polster der neuen, aus der Möbelbörse stammenden Sitzecke werden aufgeschlitzt, Grünpflanzen werden mit ihrer Natürlichkeit und Vitalität kaum ertragen und „geerntet“. 

Nach scheinbar endlosen, wochenlangen Diskussionen werden zwei durchgreifende Kompromisse erzielt. Erstens müssen Alkohol und Waffen bei den Betreuern abgegeben werden. Bier wird im Club nicht mehr ausgeschenkt, statt dessen wird das Sortiment um Alsterwasser (Radler) und alkoholfreies Bier ergänzt. 
Der zweite Kompromiß betrifft die Musik. Rechte Jugendliche hören rechte Musik. Oftmals dröhnen auf diese Weise rechtsradikale Propagandasprüche durch den Jugendclub, bevor Betreuer die Kassette ausschalten können. Ursprünglich hing die Frage, welche Musik gespielt werden durfte, von der Tageslaune des Jugendsozialarbeiters ab. Der aktuelle Kompromiß hat die sogenannte Indexliste zur Grundlage. Das Team wird nur Musik abspielen, die nicht durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert worden ist. Kassetten werden deshalb nicht eingelegt, da sich deren Inhalt schwerlich überprüfen läßt. Die Jugendlichen bekommen eine Kopie der Liste mit nach Hause, damit sie evtl. verbotene CDs gar nicht erst mitbringen brauchen.
Durch dies Vereinbarung ist das Steuerungs- und Auswahlinstrument für das Abspielen von Musik transparent und für jeden verständlich. Übrigens verlangt auch die nicht indizierte Musik einiges an Durchhaltevermögen von den MitarbeiterInnen ab...
Neun Monate später kommt es zu einer skurrilen Situation, als sich ein anderer Jugendclub auf dem Großen Dreesch (Plattenbausiedlung) weigert, rechte Musik zu spielen. Jugendliche bieten von sich aus die Indexliste an, um überhaupt "ihre" Musik hören zu können. 
 

8. Es wird wieder abends geöffnet
Nach diesen Kompromissen wird der Club an einem Abend der Woche wieder geöffnet. Um dem einfachen "Abhängen" Jugendlicher zu begegnen, gibt es jeden Abend ein thematisches Angebot. Neben Filmen über Skinheads, rechte Szene und gewaltbereite Jugendliche mit dem Versuch einer anschließenden Diskussion, erlangen Billardturniere große Beliebtheit. Dadurch werden aufgestaute Aggressionen in neue Kanäle gelenkt. Jugendliche entwickeln das Ziel, als Sieger auf dem Pokal eingraviert zu werden, der für alle sichtbar auf dem Tresen steht. Allerdings geht aus Frust über ein verlorenes Spiel schon mal ein Que zu Bruch.
 

9. Lückekids erobern den Club
Auf dem angrenzenden Hof des Jugendclubs installieren die ClubmitarbeiterInnen eine Streetballanlage, damit sich Jugendliche bei gutem Wetter auch draußen austoben können. Diese Möglichkeit und die "Kistenkletter"-Aktion ermuntern junge Jugendliche zwischen 11 und 13 Jahren, den Jugendclub aufzusuchen. Das Team ermuntert die neue Besuchergruppe wiederzukommen, leitet sie bei Spielen an, organisiert Turniere und schon bald kommen die Kids regelmäßig. Nach wenigen Wochen freuen sich die älteren Jugendlichen über einfach zu besiegende Gegner beim Billard und präsentieren ihre Überlegenheit, wenn sie die Skatregeln erläutern.
So wird der Club schon bald von mehr Lückekids, als von rechten Jugendlichen frequentiert. Ständige Evaluation und statistische Auswertungen belegen das recht eindrucksvoll. Umso wichtiger wird es für die Älteren, "ihre" Abendöffnungszeit zu haben, wo sie nicht "das Geschrei" der Jüngeren ertragen müssen.

10. Die Anträge haben Erfolg
In diese Situation fällt die Zusage, daß der Jugendclub einige Tausend Mark aus dem Topf "Projekte in Not" erhält. Zwar nicht in der erhofften Höhe, aber durch langes telefonieren und verhandeln können ein gebrauchter Kneipen-Billardtisch, ein Kicker, ein Boxsack und ein Dartspiel gekauft werden. Der dritte, bereits vorbereitete Raum wird eröffnet, Pokale für Dartturniere angeschafft. Das Miteinander funktioniert.
 

11. Kündigung der Mitarbeiterin
Im Herbst arbeiten zwei MitarbeiterInnen im Projekt, nachdem die 0,5 Leitungsstelle den Träger verläßt. Davon wird eine Stelle von der Stadt finanziert, die andere über LKZ (Lohnkostenzuschuß) und Eigenmittel (Kirchenkreis). Mit der Stadt werden Leistungsverträge erarbeitet, die auch die zweite Stelle sicher machen sollen. Durch knappe Kassen und einen nicht beschlossenen städtischen Haushalt kommt es nicht zum Abschluß. Die Folge: Der Träger muß der Mitarbeiterin kündigen. Und das nach diesen Arbeitsergebnissen und Erfolgen. 
Das Entsetzen bei Jugendlichen beider Altersgruppen ist groß, denn die Schließung des Clubs steht erneut bevor. Wieder sehen sie sich als Spielball unbeeinflußbarer Größen und Ereignisse, sind frustriert.
Die Jüngeren verteilen Protestblätter im Stadtteil. Mit den Älteren wird vereinbart, daß der Club nur dann abends vom verbleibenden Mitarbeiter geöffnet wird, wenn es zu keinen Zwischenfällen kommt. Die Jugendlichen halten sich daran.
Nach vier Wochen und vielen Protest- und Diskussionsveranstaltungen auf verschiedenen Ebenen, kann die Mitarbeiterin wieder eingestellt werden. Unter solchen Rahmenbedingungen qualitativ hochwertige Arbeit zu machen, ist wahrlich nicht einfach. Später konnten mit der Stadt Leistungsverträge abgeschlossen werden, die das Projekt auf solide finanzielle Beine gestellt haben.
 

12. Zusammenfassung und Ausblick
Nach einem 3/4 Jahr Zusammenarbeit des neuen Teams ist ein umgekrempelter Jugendclub entstanden. Neue Freizeitgestaltungsmöglichkeiten, mehr Räume und klar abgesteckte, gemeinsam abgesprochene Regeln haben dem Club neues Leben gegeben. Selbst eine Gruppe junger Gymnasiastinnen wählt den Club für mehrere Wochen zu ihrem Treffpunkt.
Die älteren Jugendlichen machen sich rar, nur ein Kern von 10-15 Skinheads besucht den Club regelmäßig. Ausflugsangebote, aus ihren Reihen vorgeschlagen, werden nicht angenommen. Selbst an einer von ihnen vorgeschlagenen Fahrt in das KZ Sachsenhausen nimmt im ersten Anlauf niemand teil. Für diese Gruppe ist der Treff ein wichtiger Ort zum Abhängen und Ausspannen. Meist kommen sie nach der Schule oder Ausbildung, nutzen je nach Tageslaune die Möglichkeiten von Dart oder Billardspiel.
Die monatelangen Diskussionen über das Hören von rechter Musik und Trinken von Alkohol flauen ab, selbst die eingeführte regelmäßige „Meckerrunde“ für Jugendliche wird kaum noch in Anspruch genommen. Es kommt vor, daß Jugendliche in den angrenzenden Grünanlagen trinken, bevor sie in den Jugendtreff kommen. Fast schon spielerisch wird versucht, Alkohol in den Club zu „schmuggeln“. Eine übliche Verhaltensweise, um die Grenzen auszutesten. Klettern im Elbsandsteingebirge

Bei der jüngeren Gruppe entwickelt es sich anders. Besonders über das Projekt „Erlebnispädagogik in der Stadt – Freeclimbing an einer Kletterwand“ wächst eine von den SozialpädagogInnen begleitete Clique heran.  Kletterfreizeiten in das Elbsandsteingebirge tragen dabei erheblich zur Gruppenbildung bei. Ein wichtiger Unterschied: Diese Gruppe wird in jungem Alter begleitet, Vertrauen wird aufgebaut, Angebote nach Bedarf gemacht. Gleichzeitig wird auf einem thematischen Elternabend zur Freizeitvorbereitung der erste Kontakt zu den Eltern hergestellt.
Während die Jüngeren Tresendienste übernehmen und dabei Getränke und Essen zum Selbstkostenpreis ausgeben, weisen die Älteren diese ehrenamtliche Arbeit weit von sich. 

Kontinuierliche, konzentrierte Arbeit auch und gerade mit jüngeren Jugendlichen ist auch eine gute Prävention. Hier lernen sie neue Interessenfelder kennen, üben das soziale Miteinander, werden ernst genommen und im Selbstvertrauen gestärkt. 

Die Bedeutung eines kreativen und in sich ruhenden kritisch-kooperativen Teams kann insgesamt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Extreme Konfliktsituationen können nur mit einem gut eingespielten Team bewältigt werden. Das trägt hauptsächlich dazu bei, daß sowohl Geldgeber wie Jugendamt und Kirche, als auch die MitarbeiterInnen mit der Arbeit zufrieden sind. 

Vom alkoholfreien Bier ist übrigens bis zum Ablauf des Haltbarkeitsdatums keine einzige Flasche verkauft worden...
 

13. Zwei Jahre später - Erfolg sozialer Arbeit?
Fast alle der ehemals rechten Jugendlichen haben eine Lehre begonnen, einige haben sie wieder abgebrochen, zwei saßen zwischenzeitlich in Untersuchungshaft und Gefängnis, zwei weitere laufen noch immer in rechtem Outfit herum. Eine rechte Szene wie vor zwei Jahren gibt es in der Stadt nicht mehr. Hatte die fachlich fundierte Jugendarbeit hier Erfolg, wie sie auch in zwei weiteren Jugendclubs der Stadt ähnlich betrieben wurde? Man kann hier durchaus von einem Erfolg sprechen, auch wenn Sozialarbeiter dieses Wort nur mit größter Vorsicht verwenden. Sicherlich haben verschiedene, weitere Sozialisationsfaktoren ihren Teil dazu beigetragen, aber Sozialarbeit muß auch mal den Mut haben, eine solche Entwicklung als ihren Erfolg zu bezeichnen. 
Gemeinsames sichern bei einer KletteraktionSolche Erfolge sind nur durch eine professionelle, fachlich fundierte und langfristig abgesicherte Arbeit zu gewährleisten. Aber ist das gewollt? Sicher, Politiker aller Parteien reden ständig davon. Nur wenn es zur Finanzierung kommt, scheiden sich die Geister. ABM-Kräfte, die in Ostdeutschen Jugendclubs (besonders im ländlichen Bereich)  häufig die einzigen Angestellten sind, haben - ohne alle über einen Kamm scheren zu wollen - meist keine ausreichende fachliche Qualifikation. Eine langfristig abgesicherte Arbeitsstelle haben sie in keinem Fall. 
Wie steht es um die pädagogischen Fach- und Hochschulen, die zukünftiges Fachpersonal ausbilden? Ist der Umgang mit rechten Jugendlichen mittlerweile dort Thema? Motivieren traditionell linke Professoren ihre Studenten dazu, sich auf die Arbeit mit rechten Jugendlichen einzulassen? 
Das Thema "Rechtsorientierte Jugendliche" wird uns in unterschiedlichsten Fragestellungen in den nächsten Jahren weiter beschäftigen. Im Jugendclub "GARAGE" hat sich die Zielgruppe mittlerweile deutlich verändert. Hunger, Armut und soziale Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen ist hier zum Hauptproblem geworden. Übrigens eine Thematik, über die nicht in den 20 Uhr Nachrichten berichtet wird.......... 
 

14. Rechte Jugendliche in Ost und West - grundsätzlich unterschiedlich?
Ost- und Westdeutschland haben in diesem Bereich sehr ähnliche Probleme. Die Ursachen für rechte Gewalt und Ausprägungen rechter Jugendkulturen sind dabei die gleichen, bei regional unterschiedlichen Gewichtungen. Oder nicht? In einem sehr einfühlsamen und detaillierten Bericht über den Umgang mit rechten Jugendlichen in der offenen Jugendarbeit beschreibt Benedikt Sturzenhecker Verhaltensmöglichkeiten in dieser Arbeit - und schreibt gleich im ersten Absatz, das "die Situation in den ostdeutschen Bundesländern" sich völlig anders darstellt und "auch andere Arbeitsweisen" verlangt. Das wird hier leider nicht weiter begründet, dafür folgt auf den nächsten Seiten die Beschreibung von Problemen entsprechender Jugendlicher und sich daraus ableitender Verhaltensweisen für die professionellen Mitarbeiter. Ohne darauf an dieser Stelle näher eingehen zu wollen (der Artikel von Sturzenhecker findet sich in überarbeiteter Form in diesem Heft), vermute ich, daß auf die Abgrenzung aus Unkenntnis Wert gelegt wurde. Sämtliche Ursachen, die Sturzenhecker in seinem Bericht beschreibt, finden sich auch bei Ostdeutschen Jugendlichen. Mit einem Unterschied: Es gibt keine Jugendszenen im Osten, die aus türkischen Jugendlichen bestehen. Hier findet der "Kampf der Jugendszenen" in Ermangelung ausländischer Jugendlicher mit deutschen Punks statt.


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