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Radtour durch Indien


"Nur noch vier Kilometer, reiß dich zusammen!", rede ich mir selbst zu. Die Beine treten widerwillig in die Pedale, die Arme halten nur mit Mühe den Lenker. 80 Kilometer und 500 Höhenmeter bei über 30°C Hitze und staubigen Straßen stecken in den Knochen. Was hat mich geritten, mit dem Fahrrad durch Indien zu fahren?

Vor uns hält ein Jeep. Ein Inder springt raus und hat es offensichtlich auf uns abgesehen. Nein - jetzt nicht auch noch Kommunikation: Wo fahrt ihr hin? Wo kommt ihr her? Die Fragen beantworten wir mehrmals am Tag, immer dann, wenn wir irgendwo auf den Dörfern Pause machen und sofort von den Dorfbewohnern umringt sind.

"Hallo, sind Sie aus Deutschland?" ruft er. Auf deutsch! Michael hat sich als erster gefaßt: "Ja?" "Ah, dann sind wir Landsleute. Meine Frau und ich haben 18 Jahre lang in Deutschland gelebt." Josef ist außer sich vor Freude, begrüßt uns beide mit Handschlag. Nach einem bißchen Smalltalk steht für ihn fest: Wir müssen unbedingt bei ihm wohnen.

Das Angebot nehmen wir gern an. Josef schmeißt unsere Fahrräder in seinen Jeep und fährt mit uns in sein kleines Dorf Erumely, zu seinem nicht ganz unbescheidenen Haus.

Reichtum tropft aus Bäumen: Kautschuk
Wir hatten an diesem Tag die Grenze vom Bundesstaat Tamil Nadu nach Kerala (Land der Kokusnuß) überquert und sofort den deutlichen Unterschied in der Lebensqualität der Menschen bemerkt. Kerala ist seit über 40 Jahren kommunistisch regiert. Es ist der einzige indische Bundesstaat, in dem es nur zehn Prozent Analphabeten gibt. Der Wohlstand im Vergleich zu Tamil Nadu drückt sich in endlosen Eigenheimsiedlungen aus, die Häuser aus edlem Baustoffen gefertigt. Die Quelle des Reichtums tropft aus den Bäumen: Kautschuk für die Gummiproduktion. Aber auch Kokosnüsse, Gewürze und Tee ermöglichen einigen Indern ein angenehmes Leben.Kinder bestaunen uns in einer Pause

Auch hinter Josefs Haus hängen die geräucherten Kautschukmatten zum Trocknen. Wir schieben die Räder in die Garage. Theresa, Josefs Frau, tritt aus dem Haus. Sie ist ein wenig überrascht, und das nicht nur im positiven Sinn. Sie erinnert Josef daran, daß sie am nächsten Morgen um sieben Uhr in die Kirche müssen. Sie sind - wie viele in Kerala und wie alle im Dorf - Christen.

Christentum als Religionenmix
Das Christentum ist hier eine seltsame Mischung aus verschiedenen Religionen: Hinduismus - die vorherrschende Glaubensrichtung in Indien - Islam und Christentum. Das hatten wir schon mehrfach an und in den zahlreichen, schönen Kirchen am Wegesrand beobachten können. Und so wunderten wir uns auch nicht, als uns Josef und Theresa erzählten, was sie am nächsten Tag so früh in der Kirche feiern würden.

"Aus der Familie meines Schwagers ist eine Frau im siebten Monat schwanger. Zu diesem Zeitpunkt übergibt der Ehemann seine Frau an ihre Eltern. Dort wird sie bis zur Geburt und drei Monate danach aufgenommen und gepflegt. Erst dann kehrt sie zu ihrem Mann zurück", erklärt Theresa das bevorstehende Verabschiedungsfest.

Josef unterbricht unsere saumselige Familienplauderei. Er möchte lieber über Politik reden: "Gibt's Kohl noch? Was macht die FDP?" Auf unsere Fragen nach der kommunistischen Regierung reagiert er ungehalten: "Die Politiker sind alle korrupt. Indien hat so viele natürliche Ressourcen: Gewürze, Kaffee, Tee, Marmor, Sandelholz, Kautschuk. Davon könnten wir gut leben, aber die Organisation und Vermarktung klappt nicht."

Inzwischen hat Theresa aus der Jadi-Nuß und Joghurt eine Medizin für meinen Magen gemixt. Das scharfe Essen, das nichts gemein hat mit dem Essen in indischen Restaurants in Deutschland, hat meinen Magen schon seit Tagen lahmgelegt. Dieser Mix ist das Widerlichste, was ich je zu mir nehmen mußte. Aber es hilft.

Hühnertransport am LenkerJosef politisiert noch immer: "Es gibt viel, was man von den Deutschen lernen kann: Fleiß, Sauberkeit, Ordnung", sagt er. Auf vieles könne er aber auch gut verzichten, wie das Nachtprogramm im Fernsehen mit nackten Frauen. Sowas sei Privatsache und gehöre nicht ins Fernsehen.

Vor allem deshalb haben Josef und Theresa Deutschland verlassen. Sie wollten nicht, das Lijo, ihr einziger Sohn, europäisch würde. "Ständig die Freundinnen wechseln und so ...".

Sie wollen für Lijo nach indischer Sitte selbst eine Frau aussuchen, die seinem Stand und seiner Bildung ebenbürtig ist. Und Lijo wird vor der Heirat nicht viel mehr Worte mit der Auserwählten gewechselt haben als "Wie heißt du?" und "Was studierst du?"

Theresa und ich ziehen uns in ein kleines Zimmer zurück. Dort zeigt sie mir, wie man eine sieben Meter lange Stoffbahn zu einem Sari bindet - der traditionellen Kleidung der indischen Frauen, die nur selten durch das Punjab-Dress (langes Oberkleid und Hose) ersetzt wird. Ich kämpfe mit dem seidenglatten Stoffungetüm. Beim zweiten Anlauf schaffe ich es schließlich, die Stoffmassen so um den Körper zu schlingen, daß es aussieht, als trüge ich Bluse, Rock und Schal.

Auserwählt, wohlhabend zu heiraten
Am nächsten Morgen stehen wir um sechs Uhr auf. Für Michael und mich Alltag, denn bei der Hitze am Tag ist es angenehmer in den frühen Morgenstunden zu radeln. Wir verabschieden uns, mit Geschenken und Reisetipps gut versorgt.

Nach zwei Stunden Weg deutet der Himmel über uns den täglichen Monsunregen an. Wir halten an und kramen die Regensachen aus den Packtaschen.

Und sofort sind sie da - aus dem Nichts. Kinder. Sie wirken ärmlich - nur ein Mädchen trägt SChmuck und ist etwas besser gekleidet. Sie heißt Malika, erklärt sie uns auf englisch, und diese Kinder sind ihre Brüder. Ihr Zuhause ist die Bananenblatt-Hütte dort drüben. Sie bittet uns, mit zu ihren Eltern zu kommen.

Sie können kein Wort englisch und leben in großer Armut. Offensichtlich investieren die Eltern alles in Malika, damit sie einmal wohlhabend heiraten kann.

Die Familie bittet - wie schon viele vor und noch viele nach ihnen - um ein Foto. Der Vater zieht sein Sonntagshemd über, und "klick" ist die ganze Familie fotografiert. Wir versprechen, Ihnen die Bilder zu schicken.

Als wir weiterfahren, öffnet der Himmel erneut seine Schleusen. Wir können uns gerade noch unter ein Wellblech flüchten. Dann beginnt eine Sintflut, über die wir am nächsten Tag in der Zeitung lesen, daß sie alle Zugverbindungen im Land lahmlegt.

Von wegen heilige Kuh!
Ein Kuhhirte gesellt sich zu uns, sucht wie wir Schutz vor dem Regen. Er dirigiert die Rinder auch aus großer Entfernung mit seltsamen Schnalz- und Kehllauten. Die Tiere gehorchen. Von wegen heilige Kuh! In den Städten laufen die Viecher in der Tat unbehelligt durch die Straße und ernähren sich von dem Müll, den die Menschen vor ihre Haustür kippen. Niemand nimmt Anstoß daran, wenn das Tier auf einer stark befahrenen Kreuzung liegt - am wenigsten die Kuh selbst. Aber auf dem Land ist keine Zeit für heilige Faulenzerei. Da werden die Tiere vor den Pflug gespannnt oder hängen am Straßenrand als Schinken zum Verkauf.

Inzwischen brennt die Sonne wieder unerbittlich. Kilometer um Kilometer spult sich vor unseren Rädern ab. Wir fahren durch Getreide, das zum Dreschen auf der Straße liegt. Holzwagen mit riesigen Strohtürmen rumpeln an uns vorbei, gezogen von weißen Rindern mit farbig bemalten Hörnern. An den Straßenrändern sitzen in kilometerlangen Reihen Frauen und Männer, die Steine für den Straßenbau zerschlagen. Von den Feldern leuchten die farbigen Gewänder der Frauen.

Wir kommen an ein Dorf. Frauen waschen an einer Pumpe unter viel Gelächter die Wäsche. Wir fragen, ob wir uns dort etwas frischmachen dürfen. Darüber müssen sie noch mehr kichern. Sie pumpen für uns aus Leibeskräften. Schön.

Abends finden wir zum ersten Mal ein Hotel mit Klimaanlage. Klasse! Bisher hatten wir in den kleinen Ortschaften nur Hotels mit Ventilator gefunden. Ich falle wie tot aufs Bett, genieße die trockene Kühle und freue mich auf den nächsten Tag. Wir werden mit der Fähre durch die Backwaters, einem paradisischen Wasserlabyrinth, fahren - die Räder auf dem Dach.
Martina Lenk


Reise-Informationen

Anreise mit dem Rad
Bei der Suche nach einer günstigen Fluggesellschaft ist die Frage nach der Fahrradbeförderung wichtig, denn bei den einzelnen Airlines gibt es gewaltige Unterschiede. Zwischen 200 Mark pro Fahrrad bis zum kostenlosen Transport ist alles möglich. Zum Zeitpunkt unserer Reise beförderte "Gulf Air" Fahrräder kostenlos. Es ist empfehlenswert, die Fahrräder in festem Karton so zu verpacken, daß die Räder noch frei rollen können. Die Kartons kann man beim Radhändler bekommen. Hat man beim Rückflug keine Möglichkeit, das Fahrrad richtig zu verpacken, kann die Fluggesellschaft Probleme machen. Dann empfiehlt es sich, ein Schreiben aufzusetzen, daß man entstehende Schäden nicht der Airline anlastet. Das ist zwar ein Freibrief, aber immer noch besser, als das Rad im Ausland stehen zu lassen.

Ausrüstung für das Rad
Seltene Ersatzteile sollte man im Gepäck haben, wie auch eine Satz Werkzeug. Da die Inder aber viel radeln, findet man in jeder kleinen Stadt einen Fahrradladen. Zum Kauf eines kultigen indischen Fahrrads kann man nur jemandem raten, der auf eine Schaltung gern verzichtet. Aber gerade Kerala ist hügelig bis bergig. Die Räder sind zwar gemessen an der Verarbeitung ausgesprochen billig, aber sehr schwer. Außerdem könnte der deutsche Zoll bei der Einreise Schwierigkeiten machen - dann wird's doch wieder teuer.

Reiseziele mit dem Rad
Kerala ist für Indienreisende geeignet, die sich wenigstens hin und wieder westlichen Standard bei der Übernachtung und europäische Küche wünschen. Fahrradreisende sollten Großstädte besonders zu Beginn der Tour meiden. Da man zwangsläufig in einer größeren Stzadt landen muß, ist es empfehlenswert, die Stadt gegen fünf Uhr morgens zu verlassen. Über Tag verwandeln sich die Straßen der Innenstädte in stinkende, tosende Ungetüme, in denen Straßenverkehrsregeln nach deutschem Verständnis nicht gelten.

Unterwegs mit dem Rad
Die Straßen in Indien sind verhältnismäßig gut. Es herrscht Linksverkehr. Aber nur bedingt. Jeder fährt, wo er auf der Straße gerade Platz findet. Dabei gilt, das der Hintere darauf achtet, dem Vordermann nicht reinzufahren. Auf diese Regel kann man sich weitgehend verlassen. Eine echte Gefahr stellen allerdings die Überlandbussse dar, die mit hoher Geschwindigkeit vorbeirasen. Sollte man einen entgegenkommenden Bus sehen und hinter sich eine laute Hupe hören, ist es besser, die Straße zu verlassen. Im Laufe von drei Tagen lernt man aber, daß es nichts bringt, bei jedem Hupen die Straße zu verlassen, denn: Das wichtigste Utensil an einem Gefährt ist für einen Inder die Hupe. Ließe man sich stehts davon beeindrucken, käme man nicht voran.

Übernachtung und GeldDas letzte Hotel war richtig gut
Wer Individualreisen bevorzugt, muß kleine Städte nicht fürchten. Überall gibt es Übernachtungsmöglichkeiten, über deren Qualität man allerdings geteilter Meinung sein kann. Dafür sind sie billig. Auch in Sachen Umtausch von Traveller-Schecks muß man sich keine Gedanken machen - selbst wenn der Reiseführer das Gegenteil behauptet. Wir tauschten in einer Kleinstadt Geld um und hatten dabei noch ein nettes Gespräch mit dem Bankdirektor, der sich freute, mal mit Ausländern plauschen zu können.

Rad und Bahn
Das Bahnfahren wird Ausländern besonders leicht gemacht: Sie müssen sich nicht an Endlosschlangen anstellen und bekommen selbst in ausverkauften Zügen noch einen Platz. Anders sieht es mit dem Radtransport aus. Da unterscheidet sich die indische Bahn nicht von der deutschen. Selbst wenn diverses Schalterpersonal behauptet, daß der Zug Räder transportiert, kann es passieren, daß einen der Zugbegleiter trotz Platz im Zug auf dem Bahnsteig eiskalt stehen läßt. Wie in Deutschland auch, dürfen nur bestimmte Züge Räder transportieren. Diese benötigen aber für 400 Kilometer 12 Stunden Fahrzeit. Die Expresse sind nicht für Räder zugelassen.

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